Galerie Mezzanin

Seit er zur Ausstellung All Burn Down (2002) einen Atelierbrand fingierte, ist Bernhard Fruehwirth für seine psychologisch aufgeladenen Raumkonstruktionen bekannt geworden. Zwei- und dreidimensionale Welten überlagern sich in den Bildern und Installationen des 1968 geborenen Künstlers. Zeichnung könnte man als Basis seiner Arbeit verstehen, Fruehwirth reduziert sich jedoch ganz bewusst nicht nur auf dieses Medium. Denn das wichtigste Thema seines Werkes handelt von der räumlichen Illusion. Und dazu benutzt er immer wieder Fotografie, Video oder Installation.

 

Zunächst versperrt eine weisse Holzkiste den Weg durch die Galerieräume von Gabriele Senn. Auf ihrem Sockel aus einfachen Metallböcken wirkt die Skulptur fast wie ein übergrosses Architekturmodell, das jedoch offensichtlich mit groben Holzbalken für reale Belastungen verstärkt wurde. Tritt man näher, kann man durch kleine Öffnungen in den Wänden zum Voyeur von Fruehwirths Beobachtungen werden. Ein Waldweg. Hin und wieder sieht man Männer im Unterholz verschwinden, andere stehen einfach am Wegesrand. Manches Waldstück ist mit Zeltplanen abgetrennt. In der Ausstellung Fellatio (2004) nimmt Bernhard Fruehwirth die Spuren herumstreifender Männer in einem Pariser Park auf.

Verschämt nähert sich der Künstler dem Treiben von Prostituierten und Freiern, die im Rucksack versteckte Videokamera vollzieht jede Bewegung ihres Trägers nach. Wird der Beobachter bemerkt, wendet sich der Blick augenblicklich ab. Es gibt keine direkte Begegnung zwischen Kamera und den gefilmten Personen. Schliesslich schaut die Kameraperspektive sogar selbst voyeuristisch zwei Menschen beim Sex zu. So grell blendet das Gegenlicht, dass die Umrisse der beiden Körper durch Zeltplanen hindurch zu erkennen sind. Was sucht Fruehwirth in diesem Unterholz von animalischer Bedürfnisbefriedigung und verwilderter Parklandschaft? Das Bordell, auf das der Künstler hier zufällig trifft, bietet keine barock-prunkvolle Palastatmosphäre – ganz im Gegensatz zum gewohnten Klischee. Stattdessen trifft man auf eine Zeltstadt inmitten eines verwilderten Gartens mit zahlreichen Wegen, Pfaden oder Abkürzungen. Es scheint, als wären wir in einem Irrgarten unterwegs – inmitten der manischen Suche des Künstlers nach möglichen Zeichen und Deutungen.

 

Fruehwirths Fotografien wirken dagegen geradezu distanziert: Waldwege, Unterholz, einige Zeltplanen. Falschfarbige, direkte Abzüge von einem Negativfilm filtern die Szenerie zu einem anderen Farbraum. Bedingt durch die technische Umkehrung, scheinen eigentlich dunkle Teile plötzlich hell zu leuchten. Helle Partien wie Himmel oder Vegetation mutieren dagegen zu einem dunklen Fond. Die Fotografien mit Bordellparzellen im Wald funktionieren nicht als Dokument, erinnern sie doch eher an minimalistische Skulpturen. Knapp für die Befriedigung von elementaren Bedürfnissen eingerichtet, stellen diese Orte eine extreme Variante des modernen Diktums „form follows function“ dar. Die künstlerische Sehnsucht nach einem isolierten Raum, dessen Bestimmung durch die extrem einfache Bauweise nach aussen hin sofort klar wird, trägt mithin auch romantische Züge. Spätestens seit dem französischen Impressionismus dienen Bordell-Szenen als beliebtes Sujet für eine Flucht vor gesellschaftlicher Norm. Künstler wie Degas oder Toulouse-Lautrec flüchteten sich oft zu den geächteten Aussenseitern der bürgerlichen Gesellschaft, in die zahllosen Mittelklasse-Bordelle von Paris. Durch ihren unerhörten Autonomie-Anspruch katapultierten sich Künstler im 19. Jahrhundert plötzlich vom Establishment ins soziale Abseits. Das Bordell kann als Bild für einen Negativraum im wörtlichen Sinne gelten, es stellt eine Umkehrung von gewohnter Sexualmoral dar. Dort wird Erotik nicht mit Liebe gekoppelt, sondern offen durch einen ökonomischen Transfer erkauft.

 

Wertigkeiten zu balancieren, bildet zweifellos zu einem zentralen Aspekt im Werk von Bernhard Fruehwirth. Und das gilt nicht zuletzt für die Hierarchie des Sehens. 2004 entwickelte der Künstler eine Reihe von Tusche-Zeichnungen, die sich mit historischen Aktien vom Beginn des 20. Jahrhunderts auseinandersetzen. Die Ikonen der modernen Ökonomie bleiben höchst spekulativ und wechselhaft in ihrem Wert – in guter Erinnerung dürfte uns noch das Platzen der „Dotcom-Blase“ an den Börsen vor fünf Jahren sein. Fruehwirth greift die Motive der Wertpapiere auf, indem er einerseits eine Ahnung vom Gesamtbild wiedergibt und andererseits daran geht, bestimmte Ornamente ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Schemenhaft bleibt der schmuckvolle Rahmen wie auch die angedeuteten Wertangaben. Unterhalb des Titels SUBURBAN DIRECTORY wird der Text einfach durch Leerstellen ersetzt. Was bisher wie eine eilige Kopie aussah, verselbständigt sich zunehmend in seiner visuellen Sprache. So überlagern architektonische Elemente aus der neo-klassizistischen Architektur weite Teile des Bildes, die eigentlich den „verlässlichen“ Fond des Papiers bilden sollten.

 

Oft versucht Fruehwirth, die räumliche Anordnung von Vordergrund und Hintergrund sowie das Verhältnis von Objekt zu Ornament gänzlich durcheinander zu bringen. Teilweise wird ein ornamentales Oberflächenmuster zum zentralen Motiv einer Zeichnung, das sich schier endlos durch einen angedeuteten Raum ausbreitet. Gerade dann wird spürbar, dass sich die Ornamente nicht von ihrer dekorativen Wiederholung in ein bedeutendes Zeichen verwandeln werden – hier bricht die Arbeit oft jäh ab. Scheitern ist bei diesem Versuch ein Teil des künstlerischen Unternehmens – es geht auch nie darum, etwa neue Hierarchien zu schaffen. Verschiedene Perspektiven überlagern sich, die Geometrie des Raumes und die zweidimensionale Oberfläche der Zeichnung kommen sich in die Quere. Perspektivische Verzerrungen extrem betont, um räumliche Illusionen zu erzeugen. So übernimmt in den jüngsten Zeichnungen sogar ein ornamentaler Hintergrund die Funktion einer dreidimensionalen Perspektive. Bei Oval Offence (2006) liegt den unzähligen Fragmenten aus Möbeln, Wänden und Oberflächen ein Raster aus eigentlich konzentrischen Kreisen zu Grunde. Nur wurde der Mittelpunkt hier so verlegt, dass schliesslich der perspektivische Eindruck eines Tunnels entsteht. Im Zentrum ein Fadenkreuz. Wie bei einem Radar scheint hier alles aufgezeichnet, jedoch nur für einen kurzen Moment. Dann bricht der Strich unvermittelt ab, um schon zur nächsten Struktur zu eilen. Bernhard Fruehwirth baut gleichsam Illusionsräume nach. Man könnte fast annehmen, dass es sich um architektonische Skizzen handelt. Dabei ist ihr Entstehungsprozess genau umgekehrt: Zuerst beschäftigt sich der Künstler intensiv mit bereits bestehenden Bauten oder Objekten, um sie danach in seinen Bildern zu rekonstruieren.

 

In der Renaissance ging man sogar soweit, mit einer Città Ideale den idealen, gemalten Raum als Vorbild für den Städtebau zu betrachten. Malerei und Philosophie sollte in der Architektur ihre Synthese finden. Obwohl von den Darstellungsmöglichkeiten der Perspektive besessen, geht es im Werk Fruehwirths offenbar nicht um makellose Raumillusionen. Wir befinden uns hier ganz sicher nicht auf der Suche nach einer perfekten Stadt - stattdessen begegnet uns ein Irrgarten verschiedener ineinander verschlungener Perspektiven, der wie eine Kamerafahrt zwischen verschiedenen Standpunkten wechselt. Zeichnungen, Räume oder Videos konstruieren eine Spur nach, die sich unendlich in ihre eigenen Bedeutungen verwickelt.

 

Das, was die weite Sicht behindert, ist auf diesem Weg besonders interessant. In den komplexen Zeichnungskompositionen implizit spürbar, werden Hindernisse schliesslich zum expliziten Thema einer Installation für die Ausstellung Reelle Duelle. Die Böschung vor dem Atelierfenster des Künstlers wird im Frühjahr 2004 in die Wiener Secession verfrachtet und dort wieder aufgebaut. Der Erdhügel mit einigen Sträuchern steigt zum Fenster hin an, sodass der Blick nach Aussen kaum noch möglich ist.

 

Bernhard Fruehwirth geht es nicht um penible Rekonstruktionen von Architektur oder um eine ganz bestimmte Erkenntnis. Viele Werke sind nicht so sehr auf ein bestimmtes Endprodukt hin ausgerichtet, sondern sie lassen den Betrachter umherschweifen, um während der Beschäftigung mit ihrem Sujet die Form des Materials zu verändern. Vieles entsteht während der Ausführung des künstlerischen Arbeitsprozesses – nicht etwa durch eine bestimmende Idee am Anfang. Die meisten Zeichnungen wirken dadurch auch irgendwie unvollendet – als müsste jede weitere Verarbeitung durch den Betrachtenden fortgesetzt werden. Prinzipiell könnte man Ornamente unendlich wiederholen. Fruehwirth reizt das unglaubliche Potential des Ornamentalen so weit aus, indem sich erlaubt, an bestimmten Stellen einfach die künstlerische Ausführung abzubrechen. Mehr noch: die zweidimensionale Gebundenheit der gemusterten Oberflächen löst sich in eine räumliche Dimension hinein unversehens auf.